Ein Meister mit Makeln
Bei kaum einem Golfprofi driften die Meinungen so weit auseinander wie bei Vijay Singh. Einerseits ist der Fidschianer ein sehr erfolgreicher Sportler, der in seiner Karriere mehr als 71 Millionen US-Dollar gewann, bei über 600 Turnieren abschlug und dank seiner 34 Titel bis dato als bester Nicht-US-Amerikaner auf der PGA Tour gilt. Andererseits schweben Manipulations- und Dopingvorwürfe wie ein Damoklesschwert über dem 54-Jährigen.
- 1. Juli 2017
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Blicken wir zurück in den Januar 2013: Nach fünf weniger erfolgreichen Jahren räumte Vijay Singh seinerzeit gegenüber Sports Illustrated ein, das Regenerationsmittel „Deer Antler Spray“ (dt. Hirschgeweihspray) auf Anraten seines damaligen Caddies genutzt zu haben. Mit diesem Eingeständnis trat er natürlich heftige Diskussionen und eine Untersuchung der PGA Tour los. Denn, das Medikament, das aus den Geweihen von neuseeländischem Wild gewonnen wird, ist mit Wachstumshormonen versetzt. Während die PGA Tour dem Mittel eine leistungssteigernde Wirkung bescheinigte, negierte dies die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) wenig später. Daraufhin stellte die US-amerikanische Profiliga die Ermittlungen gegen Singh ein. Der vermeintliche Sünder sah seine Reputation jedoch nachhaltig beschädigt und verklagte nun seinerseits die Verantwortlichen wegen öffentlicher Diffamierung. „Als direktes und unmittelbares Resultat des Vorgehens seitens der PGA Tour, wurde Singh gedemütigt, beschämt, lächerlich gemacht, verachtet und emotional verstört“, hieß es in der Anklageschrift. Das Mitglied der World Golf Hall of Fame erklärte zudem, dass er auch das unprofessionelle Vorgehen der PGA anprangern wollte. Jahrelang tat sich in dieser Causa aber nur wenig und mit der Sache vertraute Personen sprachen bereits von einer außergerichtlichen Einigung. Jetzt kam ziemlich überraschend wieder Bewegung in den Fall. Nach vier Jahren und zahlreichen Anhörungen gab Ende Mai dieses Jahres die New Yorker Richterin Eileen Bransten der Klage in großen Teilen statt, sodass nun doch ein gerichtliches Verfahren eröffnet wird. Singhs Hartnäckigkeit in eigener Sache scheint sich also auszuzahlen, denn allein die Prozesseröffnung wird bereits als Erfolg für den in Lautoka geborenen Inselstaatler gewertet.
Im Zwielicht
Dabei produzierte Singh nicht zum ersten Mal Schlagzeilen neben den Grüns. Bevor der jetzt in Florida lebende Golfsportler 1993 in die US-amerikanische Profiliga wechselte, sorgte er bereits in Asien für Gesprächsstoff. 1985 verdächtigte ihn nämlich die Asian Tour, seine Scorekarte bei der Indonesian Open nachträglich von +1 auf –1 geschönt zu haben, um den Cut knapp zu meistern! Bis heute bekräftigt der 1,88 Meter große Athlet hingegen, nicht manipuliert zu haben. Nichtsdestotrotz wurde er wenige Monate nach der Hochzeit mit seiner Landsfrau Ardena Seth ob dieser schwerwiegenden Anschuldigung mit einer lebenslangen Sperre für die asiatische Profitour belegt. Beide „Delikte“ sind bis heute nicht bewiesen, damit gilt eigentlich die Unschuldsvermutung. Aber wie man die Sache auch dreht und wendet, Tatsache bleibt, dass Singh nicht zu den beliebtesten Kollegen auf der Tour zählt. Zwar schätzen viele Weggefährten seine herausragende Karrierebilanz, über seine Klage gegen die PGA wird sich aber sicher nicht jeder freuen. Denn sollte die PGA als gemeinnütziger Verein die geforderte Schadenersatzzahlung leisten müssen, würde das Geld aus den Rücklagen für Pensionen und Preisgeldern fließen, sodass letztlich seine Kollegen das Nachsehen hätten und im übertragenen Sinn für ihn zahlen müssten. Damit würde Singh, der in den Medien oft als Egomane tituliert wird, seinem Ruf einmal mehr gerecht, seine Interessen über die seiner Mitstreiter zu stellen.
Aufgeben? Niemals!
Aber Singh wäre nicht so ein erfolgreicher Golfer geworden, wenn er bei Schwierigkeiten gleich den Kopf in den Sand gesteckt hätte. Von Anfang an ging er seinen Weg mit hohem Einsatz und Beharrlichkeit. Als kleiner Junge zählten zu seinen Interessen auch Cricket, Fußball und die Nationalsportart Rugby, doch letztendlich entschied sich „The Big Fijian“ für Golf. Die Grundkenntnisse erlernte er von seinem Vater Mohan, einem Flugzeugtechniker, der nebenbei auch als Golflehrer tätig war. Mutter Parwati begleitete die beiden oft bei ihren Trainingseinheiten. Dabei eiferte der kleine Vijay vor allem dem US-Amerikaner Tom Weiskopf nach, dessen Schwungtechnik er bewunderte. Als 19-Jähriger erfolgte schließlich der Wechsel zu den Professionals. Als es dann nur drei Jahre später zu den zuvor beschriebenen Unstimmigkeiten kam, musste Singh kurz nach dem Gewinn seines ersten großen Titels (1984 bei der Malaysian PGA Championship) die Tour verlassen und nahm kurzerhand einen Job im Keningau Club in Sabah in Malaysia an. Dort fokussierte er sich ganz auf sein Spiel, arbeitete akribisch an seiner Technik und sparte sein Gehalt für den nächsten Karriereschritt, um fortan in Afrika abzuschlagen. Mit Erfolg! 1988 gewann er die Nigerian Open und meisterte kurz darauf zum zweiten Mal in Folge die Qualifikation für die European Tour.
Der Name ist Programm
Fünf Jahre und acht Titel später schaffte Singh, der zeitweise sein Gehalt als Türsteher aufstockte, den Sprung zur PGA Tour. Zu seiner Freude wurde er gleich in seiner ersten Saison, die übrigens die letzte seines Idols Weiskopf war, zum Rookie des Jahres 1993 gewählt. Der Start für eine großartige Karriere und die Bestätigung, wie richtig seine Eltern bei der Namenswahl für ihren Sprössling lagen. Vijay bedeutet in dem auf den Fidschis mehrheitlich gesprochenen Hindi „Löwe“ und der Nachname Singh steht für „Sieg“. In den folgenden Jahren gewann er mehrere Turniere auf den beiden Touren (PGA und ET), bevor ihm 1998 ein richtig großer Coup gelang: Vijay Singh gewann sein erstes Major bei der PGA Championship! Der nächste Big Bang folgte in der Saison 2000 im legendären Augusta, wo er sich unter Freudentränen das Green Jacket des Masters Champions von Vorjahressieger José María Olazábal überstreifen ließ. Vier Jahre danach bestritt er seine bislang erfolgreichste Saison, eine der besten überhaupt in den Annalen des Golfsports. Sage und schreibe neun Turniere entschied Singh für sich, darunter erneut die PGA Championship im Play-off gegen die US-Amerikaner Justin Leonard und Chris DiMarco. Als erster Golfer überhaupt strich er innerhalb einer Spielzeit knapp elf Millionen US-Dollar an Preisgeld ein und führte damit die Geldrangliste an. Zudem entthronte er als frischgebackener „Spieler des Jahres“ (sowohl PGA als auch ET) den US-Amerikaner Tiger Woods als Nummer 1 der Golfweltrangliste und rangierte selbst für insgesamt 32 Wochen auf dieser Spitzenposition. Was andere Golfprofis in ihrem ganzen Leben nicht erreichen, meisterte Singh also innerhalb von 365 Tagen – absolut imposant!
Auf das Hoch folgt allmähliches Tief
24 PGA-Tour-Titel hatte er bereits in der Tasche, als der bis heute einzige Weltklasse-Golfer der Fidschis die Erfolgsgeschichte 2005 und 2006 dank fünf weiterer Turniersiege fortsetzte. 2007 kündigte sich dann aber ein erster Knick in der Karrierebilanz des Ausnahmesportlers an: Erstmals nach zehn Jahren erreichte er nicht ein einziges Mal die Top-Ten eines Majors. Zwar keimte 2008 mit neuer Schwungtechnik, drei weiteren Titelgewinnen auf der PGA Tour und dem Gewinn der Geldrangliste noch einmal Hoffnung auf, doch danach musste der FedEx Cup-Champion des Jahres aufgrund von Rückenproblemen und einer Knie-Operation lange Zeit pausieren. Seither gelang es Singh nicht mehr, an seine Erfolge von einst anzuknüpfen und 2010 fiel er nach zwei schwachen Spielzeiten erstmals seit den frühen 1990er-Jahren aus den Top 50 der Weltrangliste. Im Jahr darauf scheiterte er dann an der Qualifikation für die U.S. Open – nach 67 Teilnahmen bei den vier Majors in Folge. Bis dato ebenfalls ein Rekord!
Kein Ende in Sicht
Ein Karriereende zog Singh dennoch bislang nicht in Betracht. Im Gegenteil, er scheint davon überzeugt, noch mehr aus sich herausholen zu können. Seit dem Beginn seiner Karriere ist er für seine mehr als sorgfältige Vor- und Nachbereitung der Turniere bekannt, steht meist schon Stunden vor dem Tee-off auf dem Kurs, studiert Fahnenpositionen und analysiert sein Spiel im Nachgang. Nachdem er bei den Major-Turnieren allerdings kaum noch eine Rolle spielte, entschied sich Singh 2013 auch auf der PGA Champions Tour, der Liga der Senioren, abzuschlagen. Nach vier Jahren ohne nennenswerte Top-Resultate scheint der Vater des 27-jährigen Qass Seth in dieser Saison wieder in sehr guter Form: Neun Jahre nach seinem letzten Titel, der aus dem Jahr 2008 bei der Bridgestone Invitational datiert, feierte er seinen ersten Triumph auf der Tour der Über-50-Jährigen. Gemeinsam mit seinem ehemaligen Presidents-Cup-Kollegen Carlos Franco aus Paraguay gewann er im April das Teamevent Bass Pro Shops Legends of Golf. „Jeder Sieg gibt dir ein bisschen Auftrieb, und so ein Erfolgserlebnis habe ich dringend mal wieder gebraucht“, erklärte der verdiente Golfer ob seines lang ersehnten Befreiungsschlages.
Immer vorwärts, nie zurück
Auf der anschließenden Pressekonferenz äußerte Singh zudem, dass er einfach versuche, sich nicht an seine Vergangenheit zu erinnern. „Ich habe schlicht noch immer das Gefühl konkurrenzfähig zu sein.“ Den Beweis trat er nur wenige Wochen später an, als er sich einen spannungsgeladenen Kampf mit dem Deutschen Bernhard Langer um den Sieg bei der Senior PGA Championship lieferte. Singh unterlag dabei knapp und verpasste so seinen ersten Senior-Major-Erfolg. Jedoch zeigte sich einmal mehr, dass der Mann, der mehr als eine Dekade ununterbrochen zu den besten zehn Golfprofis der Welt gehörte, sich auch weiterhin zu Höchstleistungen anspornen kann und für Schlagzeilen in Sachen Golfsport sorgt. Was das leidige Thema Dopingvergehen betrifft, bleibt abzuwarten, ob seine Klage gegen die PGA tatsächlich ins Rollen kommt. Vielleicht gelingt es Singh, ein Stück seines verlorengegangenen Rufs zurückzugewinnen – allein aus sportlicher Sicht hätte er dies mehr als verdient, was seine insgesamt 61 Profititel und 185 Top-Ten-Platzierungen eindrucksvoll untermauern. Eine vollständige Wiederherstellung seiner Reputation ist allerdings fraglich – ein bisschen was bleibt halt immer hängen.